In die Irre geführt: Solide und gefälschte Quellenangaben unterscheiden lernen
Wir werden laufend mit wichtigen, entscheidungsrelevanten Informationen konfrontiert – häufig im Rahmen der Nutzung des Internets und von Social Media.
Dabei können wir uns nicht immer auf das verlassen, was als angebliche Tatsachen präsentiert wurde: Unterschiedliche Quellen können einander widersprechen, und manchmal gibt es trotz anderslautender Behauptungen der Absender keine dahinterliegende Wahrheit.
Deshalb suchen wir nach Anhaltspunkten zur Bewertung dieser Informationen.
Einer der wichtigsten Anhaltspunkte ist, dass es in Bezug auf die betreffende Information übereinstimmende Meinungen aus vertrauenswürdigen Quellen gibt. Mit anderen Worten suchen wir nach Aussagen von vertrauenswürdigen Experten, die sich für die Wahrheit von Aussagen verbürgen. Wir überprüfen im Einzelnen, ob es zu dieser Wahrheit übereinstimmende Meinungen von weiteren Autoritäten gibt – ob – anders ausgedrückt – ein Konsens besteht.
Es stellt sich die Frage, ob dieser Rückgriff auf Konsens in der alltäglichen Praxis tatsächlich funktioniert:
Prüfen wir beispielsweise ausreichend gründlich, ob der von einem Blogger präsentierte Konsens tatsächlich solide ist?
Schauen wir uns Konsens-Bekundungen etwa in Texten in den verschiedenen Social Media-Kanälen genau genug an? Oder akzeptieren wir bereits oberflächliche Hinweise auf einen Konsens? Lassen wir uns gegebenenfalls durch einen gefälschten Konsens täuschen?
Aber was zählt als vertrauenswürdiger „wahrer“ Konsens?
Konsens-Studie der Yale University
An der renommierten Yale University in den USA haben sich Kognitionsforscher diese Fragen vorgenommen, eine Studie unternommen und kürzlich veröffentlicht (Yousif; Aboody, 2020/2019).
Dabei knüpften die Kognitions-Psychologen an „klassische“ Forschungsliteratur zur Meinungs-Konformität an. In diesen Werken war unter anderem festgestellt worden, dass Personen sich möglicherweise allzu leichtfertig auf einen scheinbaren Konsens verlassen – selbst wenn dieser offensichtlich falsch ist (Asch, 1956).
Dieses fatale, leichtfertige Verlassen auf Konsens zeigt sich schon früh im Leben von Personen – bereits Kinder im Alter von 3 Jahren neigen dazu, bei Meinungsverschiedenheiten den Standpunkt der Mehrheit ihrer Mitmenschen zu übernehmen (Corriveau, Fusaro, & Harris, 2009; Corriveau & Harris, 2010; Fusaro & Harris, 2008).
Konsens ist nicht nur bei der Entscheidung, welche Gerüchte ernst zu nehmen sind, von entscheidender Bedeutung. Die Konsens-Fixierung tritt auch bei der Interpretation von wissenschaftlichen Artikeln, Nachrichtenquellen und praktisch jeder Art von Informationen auf, für die überhaupt ein Konsens bestehen kann.
Der Fall des falschen Eisbären-Experten
Beispielhaft: Außerhalb des Bereichs der Kognitionswissenschaft hatte vor Jahren eine Studie ein aktuelles Beispiel für einen falschen Konsens und seine Folgen beleuchtet (Harvey et. al., 2017). Diese Studie konzentrierte sich auf die Verleugnung des Klimawandels. Ziel der damaligen Untersuchung war es, die Kluft zwischen wissenschaftlichem Konsens und öffentlicher Meinung besser zu verstehen. Dabei wurden gezielt Weblogs und Posts von Bloggern untersucht. Bemerkenswert ist, dass sich mehr als 80% der untersuchten Blogs, die den Klimawandel leugnen, auf eine einzige Hauptquelle stützten.
Eine einzige Person, die, obwohl sie nie einschlägige Forschung betrieben hat, behauptete, ein Experte für Eisbären zu sein. Die wissenschaftlich fragwürdigen, einseitigen Interessen dienenden Behauptungen dieser einen Person wurden dennoch in zahlreichen Blogs verbreitet und damit als „Konsens“ in Szene gesetzt.
Konsequenz ist, dass viele Menschen auch heute noch diesen vermeintlichen Konsens als Beweis dafür interpretieren, dass die Behauptungen dieser Person Wahrheitswert haben – Eisbären nicht durch den Menschen-verursachten Klimawandel gefährdet sind. – Es handelt sich, um einen klaren Fall eines falschen Konsenses, der mittel- und langfristig durch eine falsche Einschätzung des Klimawandels zu falschen Entscheidungen führt – beispielsweise mit Blick auf die Erhaltung der Lebensräume der Eisbären und die Dringlichkeit der damit verbundenen Klimaschutzmaßnahmen.
Ergebnisse der Konsens-Studie und Schlussfolgerung
Die Forscher an der Yales University haben im Rahmen von vier unterschiedlichen Experimenten getestet, ob Individuen zwischen wahrem und falschem Konsens unterscheiden.
Dabei fanden sie heraus, dass Individuen zwar auf Informationen zu Konsens reagieren – sie achten darauf, ob Quellen genannt werden und wie zahlreich diese Quellen sind. Doch sie unterscheiden zu wenig zwischen wahrem und falschem Konsens. Sie glauben gleichermaßen kompetenten und wahrhaften Quellen auf der einen Seite wie auf der anderen Seite Quellen mit gefälschten „Tatsachen“.
Dieses Phänomen erwies sich im Rahmen dieses Forschungsprojekts als robust und trat sogar unmittelbar dann noch auf, wenn die Studien-Teilnehmer ausdrücklich auf die Risiken gefälschter Quellen aufmerksam gemacht wurden.
Schlussfolgerung:
Das Verständnis dieser Illusion von Konsens sowie die Einsicht, dass durch gezielte Prüfung von Quellen Meinungsmanipulation bekämpft werden kann – ist im Zeitalter sozialer Medien, schneller Nachrichtenzyklen und zunehmend polarisierter ideologischer „Echokammern“ von entscheidender Bedeutung.
Autoren der Studie:
- Sami Yousif, Yale University, Abteilung für Psychologie, Box 208205, New Haven, CT 06520-8205 E-Mail: yousif@yale.edu
- Rosie Aboody, Yale University, Abteilung Psychologie, Box 208205, New Haven, CT 06520-8205 E-Mail: aboody@yale.edu
Studienbericht in Psychological Science:
- Yousif, S. R., Aboody, R., & Keil, F. C. (2019). The illusion of consensus: A failure to distinguish between true and false consensus. Psychological Science, 30, 1195-1204.
- Corrigendum: Yousif, S. R., Aboody, R., & Keil, F. C. (2020). The Illusion of Consensus A Failure to Distinguish Between True and False Consensus. Psychological Science 1, 2020
Quellen:
- Asch, S. E. (1956). Studies of independence and conformity: I. A minority of one against a unanimous majority. Psychological Monographs: General and Applied, 70, 1-70.
- Corriveau, K. H., Fusaro, M., & Harris, P. L. (2009). Going with the flow: Preschoolers prefer nondissenters as informants. Psychological Science, 20, 372-377.
- Corriveau, K. H., & Harris, P. L. (2010). Preschoolers (sometimes) defer to the majority in making simple perceptual judgments. Developmental Psychology, 46, 437-445.
- Fusaro, M., & Harris, P. L. (2008). Children assess informant reliability using bystanders‘ non-verbal cues. Developmental Science, 11, 771-777.
- Harvey, Jeffrey A, Daphne van den Berg, Jacintha Ellers, Remko Kampen, Thomas W Crowther, Peter Roessingh, Bart Verheggen, Rascha J M Nuijten, Eric Post, Stephan Lewandowsky, Ian Stirling, Meena Balgopal, Steven C Amstrup, Michael E Mann. Internet Blogs, Polar Bears, and Climate-Change Denial by Proxy; BioScience, Volume 68, Issue 4, April 2018, Pages 281–287, https://doi.org/10.1093/biosci/bix133