Studie: Wirksamkeit staatlicher Eingriffe zur Eindämmung der Verbreitung von COVID-19
18.12.2020: Zum Zeitpunkt der gegenwärtigen Jahreswende 2020/2021 sind Regierungen bemüht, die COVID-19-Pandemie mit Hilfe von NPIs – also nicht-pharmazeutischen Interventionen – zu kontrollieren. Es handelt sich dabei schwerpunktmäßig um Regulierungen menschlichen Verhaltens, die durch den Einsatz politischer Gewalt realisiert werden. Sozialwissenschaftlich gesprochen handelt es sich hierbei also um den Einsatz von Sozialtechnologien.
Im Augenblick ist wenig über die Effektivität verschiedener NPIs zur Reduzierung der Übertragung bekannt. Politiker wenden Sozialtechnologie zur Begrenzung individuellen Verhaltens im Augenblick aufgrund dürftiger Fakten um. Vor diesem Hintergrund ist die Ermittlung von Informationen dringend geboten, die erkennen lassen welche Mechanismen eingesetzt werden können, um das gesellschaftliche Zusammenleben so zu gestalten, dass sich die Verbreitung von COVID-19 möglichst effektiv und mit möglichst wenig negativen Nebenwirkungen für Individuen und für das Allgemeinwohl unterbinden lässt.
Eine Gruppe von Forschern hat in diesem Zusammenhang am 15. Dezember 2020 im Wissenschaftsmagazin Science der AAAS (American Association for the Avancement of Science) die Ergebnisse einer internationalen Studie veröffentlicht (J. M. Brauner et al., Science 10.1126/science.abd9338 – 2020) – Link zum Artikel
Interventionen erwiesen sich als wirkungsvoll
In diesem Research-Artikel stellen die Forscher dar, dass sie chronologische Daten über die Implementierung von NPIs für mehrere europäische und andere Länder zwischen Januar und Ende Mai 2020 gesammelt haben. Auf dieser Basis haben sie sich bemüht, die Effektivität häufig eingesetzter NPIs abzuschätzen – von der Begrenzung von Versammlungsgrößen, Geschäftsschließungen, der Schließung von Bildungseinrichtungen bis hin zu Anordnungen zur Regulierung von Hausbesuchen.
Bewertungen der Wirksamkeit dieser Interventionen wurden auf der Basis statistischer Verfahren vorgenommen, die Daten zu den jeweiligen staatlichen Interventionen mit den nationalen Fall- und Todesfallzahlen in Beziehung setzten. Ein Hauptergebnis war, dass die Schließung aller Bildungseinrichtungen, die Begrenzung von Versammlungen auf 10 Personen oder weniger sowie das Aussetzen von Geschäftstätigkeiten mit direktem persönlichem Kontakt die Übertragung des tödlichen Virus jeweils erheblich reduzierten.
Im Einzelnen ergaben sich deutliche faktische Belege dafür, dass die Begrenzung von Versammlungen auf 10 oder weniger Personen effektiver ist als eine Begrenzung auf 100 oder 1.000 Personen. Bei dieser Aussage ist zu beachten, dass die Schätzungen der Forscher aufgrund von Daten zwischen Januar und Mai 2020 hergeleitet wurden – in diesem Zeitraum fanden die meisten Veranstaltungen aufgrund des Wetters wahrscheinlich in Innenräumen statt.
Datenlage lässt Aussagen nur zu „Interventions-Paketen“ zu
Ein großer Effekt wurde durch die gleichzeitige Schließung von Schulen und Universitäten erreicht. Eines muss hierzu im Auge behalten werden – und dies ist eine grundsätzliche Schwäche der Studie –: Es konnte kaum ermittelt werden, auf welche Weise Einzelmaßnahmen wirken. Schulschließungen und Universitätsschließungen kamen parallel zum Einsatz. Welcher durch die Schließungen in Gang gesetzte Mechanismus in welchem sozialen Umfeld im Detail für die Verlangsamung der Ausbreitung von COVID-19 verantwortlich war, lässt sich bisher nicht herleiten.
Die Studie hat ergeben, dass die nicht-pharmazeutischen Interventionen – also die Anwendung soziotechnologischer Maßnahmen – im Paket wirkungsvoll war. Wie die Wirkungen im Einzelnen einzuschätzen sind, kann aufgrund der bisherigen Datenlage nicht eingeschätzt werden.
Dringend erforderlich ist es, die Wirkweise dieser politisch gesteuerten Interventionen weiter zu erforschen. Nur so ist es möglich, zukünftig gezielter mit Maßnahmen auf die Ausweitung der Pandemie einzuwirken, als dies heute gelingt.
Fotos: Unsplash (Tim Mossholder – Mche-Lee)
Heinz W. Droste