Vorurteile überwinden? – Wenn Argumente scheitern …
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Verlorene Mitte – feindselige Zustände
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat Ende April 2019 eine Studie zur Verbreitung von rechtsextremen, menschenfeindlichen und weiteren antidemokratischen Meinungen in der deutschen Gesellschaft vorgelegt.
Insgesamt macht die Studie, die unter dem Titel „Verlorene Mitte – feindselige Zustände: Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19“ veröffentlicht wurde deutlich:
Zwar lassen die telefonisch geführte Befragung hoffen, dass in der Bevölkerung eine hohe Zustimmung zur Demokratie besteht.
Nicht zu überhören sind Äußerungen, die auf antidemokratische sowie menschenfeindliche Haltungen gegenüber Angehörigen diverser Bevölkerungsgruppen hindeuten. „Arbeit gegen Vorurteile“ fordern die Studienautoren deshalb in ihrer Ergebniszusammenfassung.
Beim Nachdenken über diese „Vorurteils-Arbeit“ schließen sie aus, dass die bei zum Einsatz kommenden Maßnahmen auf der Basis von Dialogen und dem Austausch rationaler Argumente funktionieren kann (Zwick, A., Küpper, B., Berghan W. 2019).
Womit kann stattdessen das Durchdringen der deutschen „Mitte“ mit rechtsextremen Haltungen aufgehalten werden?
Hierfür gibt es kein Patenrezept. Allerdings zeigen Forschungen, in welche Richtungen sich Praktiker orientieren können, um zu wirkungsvollen Lösungen zu kommen.
Eines dieser Forschungsergebnisse habe ich in der Ausgabe eines der Fachmedien der Association for Psychological Science (ASP) gefunden, das von Sohad Murrar und Markus Brauer – Wissenschaftler vom Department of Psychology, University of Wisconsin-Madison – hier veröffentlicht wurde:
„Overcoming Resistance to Change: Using Narratives to Create More Positive Intergroup Attitudes“
(„Überwindung des Widerstandes gegen Veränderungen: Verwendung von Erzählungen/Narrativen zur Schaffung positiverer Einstellungen zwischen Gruppen“)
Hier meine Zusammenfassung dieser wichtigen Studie aus Wisconsin:
Überblick zur Studie von Sohad Murrar und Markus Brauer
Forscher und Praktiker haben zahlreiche Methoden vorgeschlagen, mit deren Hilfe Vorurteile abgebaut und eine positivere Einstellung gegenüber Mitgliedern anderer Gruppen geschaffen werden. Die Wirksamkeit dieser Methoden ist bisher empirisch nicht umfassend belegt.
Der hier zusammengefasste Studien-Bericht wird zeigen, dass die Einstellungen der Angehörigen unterschiedlicher Gruppen tendenziell hoch resistent gegen Veränderungen sind. Nach Ansicht der Studien-Autoren Murrar und Brauer wird jede Methode, die darauf abzielt, diese hartnäckigen Einstellungen zu ändern, nur dann erfolgreich wirken, wenn mit deren Hilfe zunächst diese Resistenz und die Tendenz zum Widerstand gegen Einstellungsänderungen überwunden werden.
Die Autoren haben im ersten Schritt gezeigt, dass die bisher zum Einsatz kommenden, „traditionellen“ Methoden zur Förderung positiver Einstellungen zwischen Gruppen insbesondere mit Blick auf die Behandlung dieser Resistenz unzureichend sind.
Im folgenden Schritt legten sie Argumente dafür vor, dass der Einsatz von Erzählungen bzw. von Narrativen ein passendes Verfahren darstellt, die erforderliche Überwindung von Widerstand zu erreichen. Gründe dafür sind: Ihr Einsatz provoziert bei den Angesprochenen weniger das Einnehmen von Konfrontationshaltungen; Narrative versetzten den Einzelnen mit Auswirkungen auf seine Vorurteile in eine Geschichtenwelt hinein und bieten ihm zudem soziale Rollenmodelle, die ihm zur Verfügung stehen, um Angehörigen anderer Gruppen zukünftig mit geänderter Haltung zu begegnen.
Im dritten Schritt legten die Autoren empirische Belege dafür vor, dass Narrative erfolgversprechend sind, wenn das Entwickeln positiverer Einstellungen gegenüber Vertretern anderer sozialer Gruppen bezweckt wird.
Das Problem: Vorurteile zwischen Gruppen
Mitglieder vieler Gruppen sind damit konfrontiert, mangelhaft sozial integriert – inkludiert – oder sogar – diskriminiert zu werden: Ethnische Minderheiten, Mitglieder der lesbisch, schwulen, bisexuellen und transgenderischen Gemeinschaft (LGBT), religiöse Minderheiten, Frauen in Männerberufen, Menschen mit Behinderungen, Langzeitarbeitslose, Atheisten oder Personen nicht-christlicher Glaubensrichtungen sind nur einige Beispiele für das Problem.
Der Abbau von Vorurteilen und die Förderung positiver Einstellungen gegenüber diesen Gruppen ist nicht nur eine ethische Pflicht, sondern grundsätzlich entscheidend für die Zukunft unserer Gesellschaft:
Wenn Einzelpersonen das Opfer von Vorurteilen werden, verlassen sie mit höherer Wahrscheinlichkeit vorzeitig Schulen und andere Bildungseinrichtungen, entwickeln am Arbeitsplatz weniger Produktivität und erleiden im Vergleich zu ihren integrierten – inkludierten – Mitbürgern Einschränkungen, die sich negativ auf ihre psychische und physische Gesundheit auswirken.
Das Problem von Vorurteilen zwischen Gruppen wirkt sich nicht allein im Ausschließen von Personen aus der gesellschaftlichen Gemeinschaft aus. Das Auftreten von Gruppen, die sich gegenseitig mit Vorurteilen begegnen, droht die Gesellschaft zunehmend zu fragmentieren.
Schauen wir beispielsweise auf die Berufswelt: Unternehmen, in denen kein integratives Arbeitsklima herrscht, sind nicht nur weniger innovativ. Sie verlieren mit größerer Wahrscheinlichkeit hoch qualifizierte Mitarbeiter an ihre Konkurrenten. Kurz gesagt, ein Mangel an Inklusion – sozialer Integration – führt zu einem Verlust an Kompetenzen und talentierten Mitarbeitern.
Trotz der Bedeutung des Problems beziehen sich Sozialwissenschaftler und Praktiker relativ selten auf Forschungsergebnisse – wenn sie Lösungen dafür vorlegen, wie Einstellungen von Menschen unterschiedlicher Gruppenzugehörigkeit nachhaltig zu verändern sind.
Weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist, dass die meisten Initiativen zur Förderung von Vielfalt und Andersartigkeit bisher nicht mit Blick auf ihre Wirksamkeit überprüft wurden. Bei den wenigen Initiativen, bei denen dies dennoch der Fall, ergaben sich häufig ernüchternde Ergebnisse.
Die Autoren Murrar und Brauer stellen in ihrer Studie fest, dass ein Tatbestand grundlegend die Wirksamkeit von Methoden zur Eindämmung von Vorurteilen von vornherein einschränkt: Die ablehnenden Einstellungen gegenüber den Vertretern der anderen Gruppe (Out-Group) sind meist signifikant stabil und bewirken den grundlegenden Widerstand gegen Einstellungsänderungen.
Einstellungen und Vorurteile gegenüber Mitgliedern anderer Gruppen sind widerstandsfähig.
Gesteigerte Einstellungen des Widerstands und Ablehnung immunisieren Gruppen in der Regel gegen Initiativen, vorurteilsbehaftete Haltungen zu verändern. Das zeigt sich, wenn Einzelpersonen zu überzeugen sind, ihren Widerstand und ihre Ablehnung aufzugeben: Sie reagieren damit, vielfältig Gegenargumente zu entwickeln und Personen aus anderen Gruppen abzuwerten – sie suchen selektiv nach Informationen, die ihre ablehnende Haltung plausibel machen oder reagieren mit aggressivem Verhalten.
Die Studien-Autoren führen zwei Hauptgründe für diesen Widerstand an:
- Erstens sind Einstellungen von Individuen gegenüber Anderen eng mit der sozialen Identität der eigenen Gruppe – der In-Group – verbunden, auf diese Weise mit dem Anteil des Selbstverständnisses, auf dem die individuelle „Lebenswelt“ ihrer sozialen Gruppe basiert. Um uns selbst gut zu fühlen, neigen wir dazu, unserer eigenen Gruppe – unserer In-Group – positive Eigenschaften zuzuschreiben, um parallel der anderen Gruppe – der Out-Group – negative Eigenschaften nachzusagen.
- Zweitens sind Gruppen-Mitglieder in der Lebenswelt ihrer In-Group häufig in psycho-sozialen Prozessen involviert, die das Potenzial haben, ihre Gruppen-Identifikation zu stärken und parallel die Unterschiedlichkeit der Einstellungen zwischen ihrer In-Group und der Out-Groups zu verstärken.
Einmal ausgegrenzt immer ausgegrenzt
Die Neigung, den Anderen moralische Minderwertigkeit zuzuschreiben, ist derart wirkungsvoll, dass so etwas wie eine „sich selbst erfüllende Prophezeiung“ zum Tragen kommt. Das zeigt sich in Fällen, in denen ein In-Grouper einen Vertreter einer anderen Gruppe wahrnimmt, der anders als erwartet, statt der der Out-Group zugewiesene negativen Eigenschaften ausgesprochen positive Züge zeigt und einem In-Group-Angehörigen gleicht: Wenn einer der Anderen „alles richtig macht“, wird sein Verhalten dennoch als „anders“ motiviert gedeutet. Statt ein Vorurteil aufzugeben, wird das Abweichen von der vorurteilshaften Erwartung so umgedeutet, dass selbst „gute Taten“, als Bestätigung moralischer Minderwertigkeit zu betrachten sind – beispielsweise indem das Verhalten als Form der Verstellung oder als Anbiederung interpretiert wird. Jemand, der zur Out-Group gehört, wird auf diese Weise niemals Vorurteile entkräften.
Es gibt eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur darüber, wie ablehnende Einstellungen modifiziert werden (Petty, Wheeler, & Tormala, 2003). Leider scheint diese Literatur von vielen Pädagogen, Arbeitgebern, Politikern und manchmal sogar von Forschern ignoriert zu werden, wenn sie vor der Aufgabe stehen, Initiativen zur Akzeptanz von sozialer Diversität oder Methoden zum Abbau von Vorurteilen vorzuschlagen.
Eine aktuelle Analyse, welche die Ergebnisse von fast 500 früheren Studien zusammenfasst, ergab, dass diese Methoden keine signifikanten Auswirkungen auf diskriminierendes Verhalten haben (Forscher et al., 2018). Das Gleiche gilt für Diversity-Trainings, die Personen ermutigen sollen, sich ihrer eigenen Privilegien bewusst zu werden sowie ihre Einsicht in die Unangemessenheit von Diskriminierung zu stärken und in der Folge diejenigen eigenen Verhaltensweisen zu durchschauen, die Machtunterschiede zwischen Gruppen aufrechterhalten. Dass ein solches Training ineffektiv oder kontraproduktiv ist, hat sich in jüngster Zeit in Hunderten empirischer Studien erwiesen (Dobbin & Kalev, 2016).
Wenn solche Methoden auf Personen angewendet werden, erkennen sie, dass sie „Opfer“ eines Überzeugungsversuchs sind. Reaktion ist daraufhin regelmäßig, dass sich die bestehende Voreingenommenheit und der Widerstand gegen Einstellungs-Veränderungen steigern (Petty & Cacioppo, 1986).
Beispiel-Szenario: Häufig werden Personen von ihren Arbeitgebern oder von Bildungseinrichtungen zur Teilnahme an „traditionellen“ Maßnahmen des Vorurteilsabbaus aufgefordert. Dies wird von den Teilnahme-Verpflichteten als Gefährdung ihrer Selbstbestimmung empfunden, was umgehend den Widerstand gegen einen Einstellungswandel erhöht (Silvia, 2006). Darüber hinaus suggerieren diese Methoden den betreffenden Personen implizit, dass angenommen wird, mit ihnen „stimme etwas nicht“, und dass sie „umerzogen“ werden sollen. Dadurch wird wiederum weiterer Widerstand provoziert (Brehm, 1966).
Grundsätzlich ist der Erfolg dieser traditionellen Vorurteils-Bearbeitungs-Methoden davon abhängig, dass die Betroffenen in der Lage wären, eine wohlerwogene, rationale Analyse der eigenen negativen Argumente und Einstellungen gegenüber anderen Gruppen vorzunehmen. Weiterhin setzen sie bei Individuen eine hohe Motivation voraus, sich mit den eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen (Monteith & Mark, 2005). Beide Bedingungen sind in der realen Welt selten erfüllt.
Exkurs: Was sind Narrative?
In der Folge dieses Beitrags wird gezeigt werden, warum die Autoren annehmen, dass der Einsatz von Narrativen die Probleme der traditionellen Methoden lösen könnte.- Doch zuvor: Was sind überhaupt Narrative? (An dieser Stelle greife ich auf Braddock & Dillard 2016 zurück.)
Grob gesagt, kann eine Botschaft als narrativ bezeichnet werden, wenn es sich bei dieser um eine Geschichte handelt, die Informationen über eine Lebenswelt, die Akteure darin und deren Motivationen enthält. In den letzten beiden Jahrzehnten ist die Forschung über die möglichen Auswirkungen von Narrativen auf den Meinungswandel bei Personen enorm gewachsen.
Schauen wir uns deshalb an, auf welcher Basis Psychologen den Begriff definieren:
Sie greifen auf eine Liste von grundlegenden Features und Annahmen zurück, von denen wir uns eine Auswahl anschauen (Ryan 2007):
- Narrative handeln von Welten, die von individuellen Wesen bevölkert sind.
- Narrative sind Geschichten, die in der Zeit positioniert sind und in deren Verlauf sich signifikante Entwicklungen ergeben.
- Veränderungen in den narrativen Welten werden durch außeralltägliche Ereignisse verursacht.
- Einige der Protagonisten des Narrativs sind intelligente Wesen, die sich als Akteure mit Handlungs-Gewalt erweisen.
- Einige der Ereignisse innerhalb des Narrativs passieren aufgrund zielgerichteten Handelns dieser Akteure.
- Die Abfolge der narrativen Ereignisse sind kausal verknüpft und führen auf diese Weise zu einem Abschluss.
- Das Narrativ vermittelt dem Betrachter eine sinnvolle Story.
Mit Hilfe von Narrativen Ablehnung und Vorurteile überwinden
Auf welche Weise können Narrative für Maßnahmen genutzt werden?
Murrar und Brauer nehmen an, dass Narrative positive Haltungen mit Blick auf Gruppen begünstigen können. Sie verweisen auf Botschaften, die an ein Publikum in verschiedensten Formaten per Fernseh-Beiträgen, YouTube-Videos, Radio-Sendungen, Podcasts, Büchern, Comics oder Gemälden vermitteln.
Die Autoren führen drei Hauptgründe, warum narrativ basierte Methoden dabei besonders effektiv sind, um den Widerstand gegen Einstellungsveränderungen zu reduzieren:
Erstens verfügen Narrative über das besondere Potenzial, Botschaften zur Übermittlung von positiven Haltungen zu Inter-Group-Beziehungen subtil zu transportieren. – Wenn Individuen sich entscheiden, ein Buch zu lesen oder eine Fernsehsendung zu sehen, erwarten sie, vor allem unterhalten zu werden. Die subtil in ein Narrativ eingeflochtenen Botschaften werden durchaus wahrgenommen – aber ohne das Grundbedürfnis des Einzelnen nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu gefährden. Dadurch wird das Risiko auf Seiten des Betrachters Widerstand zu erzeugen minimiert.
Zweitens reduzieren Narrative den Widerstand gegen Initiativen zur Einstellungsveränderung, weil sie durch ihre Story „bewegen“. Betrachter fühlen sich durch die Geschichte „transportiert“ und von der Narrativ-Welt absorbiert. Sie neigen dazu, sich zu identifizieren und sich emotional mit den agierenden Charakteren zu beschäftigen. – Dadurch, dass sich Individuen transportiert fühlen und sich mit den Charakteren identifizieren, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie gegenüber den eingebetteten Botschaften eine spontane Widerstandshaltung einnehmen. Sie nehmen die vermittelten Botschaften als für sich persönlich relevant wahr, was ihre Empfänglichkeit für diese Botschaften erhöht.
Drittens ermöglichen Narrative Personen, alternative soziale Rollen-Modelle zu kennenzulernen. Konsumenten von Narrativen können beobachten, wie die Akteure der Story Belohnungen für ihr prosoziales Verhalten erhalten oder etwas Negatives als Folge von unerwünschtem Verhalten erleben. Sie können als Betrachter Situationen miterleben, in denen die Akteure sich positiv persönlich entwickeln, indem sie unabhängig von Vorurteilen offen gegenüber Vertretern anderer Gruppen handeln. Auf diese Weise erhöhen Rollenmodelle bei den Betrachtern der Narrative die Gewissheit, sich mit dem Aufgeben von Vorurteilen auseinandersetzen zu können, ohne ihre Selbstbestimmtheit aufgeben zu müssen. Dies ist besonders wichtig, weil Individuen in Situationen geringen Selbstwirksamkeitsgefühls resistenter gegen Einstellungs- und Verhaltensänderungen reagieren.
Erfolgreicher Einsatz von Narrativen
Praktiker und Psychologen, die planen, mit Narrativen positivere Einstellungen zwischen den Gruppen zu schaffen, müssen nicht bei Null anfangen, sondern können mit bereits bewährten Stories arbeiten.
In der Vergangenheit wurden bereits unterhaltsame Narrative genutzt, in deren Handlungsstränge überzeugende Botschaften eingewebt worden waren, die Einstellungen, Überzeugungen und Absichten von Personen in zahlreichen Handlungs-Kontexten positiv verändern konnten.
Es gibt Forschungsergebnisse, die nachvollziehen, wie Narrative als nützliche Werkzeuge zur Schaffung positiverer Einstellungen zwischen Gruppen funktionieren. So zeigen Korrelationsstudien, dass im Fall des Konsums von TV-Narrativen, die mit Botschaften über positive Beziehungen zwischen den Mitgliedern unterschiedlicher Gruppen durchsetzt sind, parallel positive Einstellungen gegenüber Nicht-Gruppenmitgliedern auftreten.
In einer kürzlich durchgeführten Studie zeigten die Autoren der hier vorgestellten Studie Murrar und Brauer (2018), dass der Konsum eines Narrativs mit positiven Botschaften über die Beziehungen zwischen Gruppen und Minderheiten einen kausalen Effekt auf die Gruppen-übergreifenden Einstellungen (Inter-Group-Haltungen) der Individuen hatten. – Wenn Personen Episoden einer populären Sitcom konsumierten, in denen muslimische Kanadier auf verwandtschaftlich-vertraute Art und Weise dargestellt wurden, zeigten sich diese Sitcom-Konsumenten nachfolgend über einen längeren Zeitraum weniger voreingenommen gegenüber Muslimen, verglichen mit Individuen, die Episoden einer populären Sitcom sahen, die keine Minderheiten oder Themen im Zusammenhang mit Inter-Group-Beziehungen darstellten.
Andere Untersuchungen deuten darauf hin, dass das Radio als Kanal genutzt werden kann, um mit Narrativen einen positiven Einfluss auf die Wahrnehmung sozialer Normen von Inter-Group-Interaktionen in Konfliktsituationen zu nehmen. Als Beispiel führen die Autoren eine Untersuchung in ruandischen Dörfern an, in denen Erwachsene wenige Jahre nach dem Völkermord in Ruanda 12 Monate lang eine Radio-Seifenoper über den Abbau von Feindseligkeit und von Misstrauen zwischen an sich verfeindeten Gruppen hörten. Im Zuge des Konsums dieser Radio-Narrative wurden die Bevölkerung beispielsweise offener, darüber nachzudenken, dass in zukünftigen Generationen die Mitglieder religiöser, ethnischer oder regionaler Gruppen über die In-Group-Grenzen hinweg heiraten könnten.
Auch Narrative in Büchern verfügen offensichtlich über einen entsprechend positiven Effekt. So führten beispielsweise kurze, in Büchern veröffentlichte Erzählungen dazu, dass 6- bis 12-jährige US-Amerikaner europäischer Abstammung, die über berühmte historische Figuren afroamerikanischer Abstammung und ihrem Erleiden von Rassenhass gelesen hatten, dazu, dass sie Afroamerikaner positiver bewerteten als vor ihrer Lektüre.
Obwohl die Autoren des vorliegenden Studienberichts – Murrar und Brauer – auf vielversprechende Forschungsergebnisse verweisen können, leiden viele der bisher vorgelegten Studienergebnisse ihrer Ansicht nach unter methodischen Mängeln. Abschließende, schlüssige Interpretationen sind deshalb bisher noch nicht möglich. Ihrer Ansicht nach sind diese Lücken mit erweiterten Studien zu füllen. Dabei sollte die zukünftige Forschung insbesondere diejenigen Komponenten von Narrativen identifizieren, die für die Schaffung positiver gruppenübergreifender Einstellungsänderungen besonders wirkungsvoll sind. Die folgenden Komponenten dürften ihrer Meinung nach unter anderem eine wichtige Rolle spielen:
- die Darstellung von gruppenübergreifenden Freundschaften
- das Darstellen von romantischen Beziehungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher sozialer Gruppen
- die Darstellung von Minderheiten in einer Weise, welche die Identifikation und Empathie fördert
- die Modellierung der „richtigen“ Verhaltensweisen, wie z.B. inkludierendes Verhalten oder beispielhafter Bekenntnisse aus dem Mund dominanter Gruppenmitglieder, dass Diskriminierungen von Angehörigen anderer Gruppen abzulehnen sind
Fazit
Narrative haben ein spezifisches Potenzial, den Widerstand gegen Einstellungsänderungen zu reduzieren:
- Gruppenübergreifende Einstellungen sind tendenziell äußerst widerstandsfähig. Zunächst muss dieser Widerstand bearbeitet werden, wobei insbesondere narrative Ansätze nachhaltigen Erfolg versprechen.
- Dabei hat sich bewährt, Narrative über breit streuende Medien zu verbreiten.
- Allerdings sind Massenmedien mit Blick auf ihr Wirkpotenzial im Bereich gruppenspezifischer Einstellungen noch ungenügend erforscht.
- Aus Sicht der Studien-Autoren sollten Vorurteils-Forscher und Diversity-Praktiker, die an der Schaffung eines positiven sozialen Wandels interessiert sind, zukünftig ihre Aufmerksamkeit auf diese breitstreuenden Medien lenken und die „Macht“ von Narrativen nutzen, um gut ausgearbeitete Geschichten zum Thema sozialer Gleichheit Wirklichkeit werden zu lassen.
Quelle:
Sohad Murrar und Markus Brauer. Overcoming Resistance to Change: Using Narratives to Create More Positive Intergroup Attitudes. Current Directions in Psychological Science, 2019, Vol. 28(2) – 164-169.
Erwähnte Literatur
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- Brehm, J. W. (1966). A theory of psychological reactance. New York, NY: Academic Press.
- Dobbin, F., & Kalev, A. (2016). Diversity: Why diversity programs fail and what works better. Harvard Business Review, 94(7-8), 52-60.
- Forscher, P. S., Lai, C. K., Axt, J. R., Ebersole, C. R., Herman, M., Devine, P. G., & Nosek, B. A. (2018). A meta-analysis of procedures to change implicit measures. Retrieved from PsyArXiv: https://psyarxiv.com/dv8tu
- Monteith, M. J., & Mark, A. Y. (2005). Changing one’s prej¬diced ways: Awareness, affect, and self-regulation. European Review of Social Psychology, 16, 113-154.
- Murrar, S., & Brauer, M. (2018). Entertainment-education effectively reduces prejudice. Group Processes & Intergroup Relations, 21, 1053-1077. doi:10.1177/1368430216682350
- Petty, R. E., & Cacioppo, J. T. (1986). The elaboration likelihood model of persuasion. In L. Berkowitz (Ed.), Advances in experimental social psychology (Vol. 19, pp. 123-205). New York, NY: Academic Press.
- Petty, R. E., Wheeler, S. C., & Tormala, Z. L. (2003). Persuasion and attitude change. In T. Mellon & M. J. Learner (Eds.), Handbook of psychology: Volume 5. Personality and social psychology (pp. 353-282). Hoboken, NJ: Wiley.
- Ryan, M. (2007). Toward a definition of narrative. In D. Herman (Ed.), The Cambridge companion to narrative (pp. 22–35). New York, NY: Cambridge University Press.
- Silvia, P. J. (2006). Reactance and the dynamics of disagreement: Multiple paths from threatened freedom to resistance to persuasion. European Journal of Social Psychology, 36, 673-685.
- Zwick, A., Küpper, B., Berghan, W. (2019). Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19. Bonn: J.H.W. Dietz Nachf.
Autor: Heinz W. Droste